Aus der Presse: „Im Portrait – Tagesspiegel Background“ | 14.06.2023

Heizungsaustausch und PV-Anlagen – beides soll helfen, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird. Timon Gremmels diskutiert als Mitglied des Bundestag-Ausschusses für Energie und Klima ganz vorne mit. Trotz der Herausforderungen in Sachen Klimaschutz bleibt er dabei optimistisch.

Seit 2017 ist Timon Gremmels (SPD) Bundestagsabgeordneter für Kassel und Region, während der derzeitigen Legislaturperiode ist er Mitglied im Ausschuss für Klimaschutz und Energie. Während des Interviews ist er unterwegs, von einem Treffen mit dem VW Werk Baunatal zu einer Kreistagssitzung in Kassel.

Seine Aufgabe sei es, „das Leben der Menschen ein Stück weit besser zu machen“, beginnt er das Gespräch. Das Leben besser machen – vor allem aber dafür zu sorgen, dass die kommenden Generationen eine Zukunft haben. Was es dafür braucht? Klimaschutz und die Energiewende, so Gremmels. Politisch sozialisiert wurde Gremmels, der schon zu Schulzeiten in die SPD eintrat, mit der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Da war er zehn Jahre alt.

„Wegen der Strahlenbelastung durfte nicht draußen spielen und musste dreimal am Tag duschen“, erinnert er sich. Auch deshalb war der 15. April, als die letzten Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet wurden, ein wichtiger Tag für ihn. „Inhaltlich fällt es mir leicht, dem Gegenwindvonseiten der AfD oder CDU bei diesem Thema gegenzuhalten“, so Gremmels. „Wir haben das Problem mit der Endlagerung, auch Brennstäbe in Atomkraftwerken kommen teilweise aus Russland, und wir haben gute Alternativen“, führt er aus.

Bislang werden rund 50 Prozent der Stromenergie aus erneuerbaren Energien gewonnen. Besonders Photovoltaikanlagen sollen in den nächsten Jahren noch stark ausgebaut werden, so Gremmels. Bis 2025 soll der jährliche Zubau von derzeit sieben Gigawatt (GW) Leistung auf 22 GW steigen. Wenn Gremmels heute ein Klimaschutzgesetz verabschieden dürfte, stünden auch dort Photovoltaikanlagen im Fokus. „Bei allen neuen Nichtwohnhäusern, also Industriegebäuden, Lagerhallen oder Supermärkten sollten Photovoltaikanlagen angebracht werden.“

„Keiner muss Angst haben, dass Habeck die Heizung ausbauen will.“

Derzeit liegt sein Schwerpunkt aber auf der Wärmewende, das umstrittene Gebäudeenergiegesetz verhandelt Gremmels für die SPD maßgeblich mit. „Der Austausch von Heizungen zu welchen, die aus erneuerbaren Energien gespeist werden, ist ein Generationenprojekt“, sagt Gremmels. Es sei deshalb wichtig, schon jetzt mit dem Einbau von neuen Heizungen, die zu 65 Prozent aus erneuerbaren Energien gespeist werden, zu beginnen, so Gremmels. „Der Eindruck, der entstanden ist, dass noch funktionierende Heizungen aus den Häusern gerissen werden, ist falsch. Keiner muss Angst haben, dass morgen Robert Habeck vor der Tür steht und die Heizung ausbauen will“, sagt Gremmels.

Bis 2045 muss Deutschland klimaneutral sein. „Wärmepumpen sind dabei aber nicht die einzigen Lösungen. Auch der nahezu ausschließliche All-Electric-Ansatz, der unter dem ehemaligen Staatssekretär Graichen bisher im Bundeswirtschaftsministerium herrschte, griff zu kurz. Die Wärmewende braucht auch Moleküle”, sagt Gremmels. Ein Dreiklang aus Ordnungsrecht, also neuen Klimaschutzgesetzen, unabhängiger Beratung und einer ordentlichen Förderung von Klimaschutzmaßnahmen sei notwendig, um die Klimaneutralität zu erreichen, so Gremmels.

Weltuntergangsstimmung ist der falsche Politik-Ansatz

Timon Gremmels pendelt zwischen Kassel und Berlin, wenn es geht mit dem Zug, sagt er. Das neu eingeführte 49-Euro-Ticket bezeichnet er als eine der größten verkehrspolitischen Revolutionen seit langer Zeit. Auch er ärgert sich zwar manchmal über die Deutsche Bahn, gibt er zu, aber schon zu Studienzeiten habe er das Pendeln gelernt: „In der Zeit im Zug zwischen Kassel und Marburg, wo ich Politikwissenschaften studiert habe, habe ich mich auf meine Vorlesungen und Seminare vorbereitet“, erzählt Gremmels.

Der Klimabewegung „Fridays For Future“ ist Gremmels dankbar. „Ich bin mir sicher, dass es ohne sie in der Großen Koalition nicht zu so einem scharfen Klimaschutzgesetz gekommen wäre“, sagt er. Die „Letzte Generation“ hingegen sieht er kritisch. „Das Grundgesetzdenkmal mit Farbe zu beschmieren ist kein legitimer Protest“, findet Gremmels. Durch die Blockaden der Letzten Generation sinke die Unterstützung in Sachen Klimaschutz in vielen Teilen der Bevölkerung, befürchtet Gremmels.

Doch insgesamt hält sich der 47-Jährige optimistisch. „Ich bin positiv eingestellt. Weltuntergangsstimmung und Angstmache halte ich für den falschen Ansatz, um Politik zu gestalten“, so Gremmels. Und dann muss er weiter. Timon Gremmels ist an seinem Büro angekommen, steigt aus dem E-Auto. Nach der nächsten Sitzung geht es noch nach Berlin, diesmal mit dem Zug.

Wer rettet das Klima – die Politik oder die/der Einzelne?
Die Klimarettung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Politik muss die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen und ausreichend Geld für die notwendigen Förderprogramme zur Verfügung stellen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen in die Lage versetzt werden, ihren individuellen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Auf welchen Flug würden Sie nie verzichten?
Nach Santiago de Chile zu meinen Schwiegereltern

Wer in der Energie- und Klimawelt hat Sie beeindruckt?
Der SPD Politiker und Träger des Alternativen Nobelpreises Hermann Scheer sowie Günther Cramer, einer der drei Gründer der SMA Solar-Technology AG. Mit beiden habe ich eng zusammenarbeiten dürfen. Sie prägen mich bis heute.

Welche Idee gibt der Energiewende neuen Schwung?
Mit Bürgerenergiegesellschaften, Mieterstromprojekten, echtem Energiesharing und entbürokratisierter Balkonsolar, die Energieerzeugung demokratisieren. Wir alle sind Energiewende!

(Artikel: Maja Goertz)