DIE ZEIT No. 40 | 29. September 2022: „Was muss man beim politischen Lachen beachten, Herr Gremmels?“

DIE ZEIT: Herr Gremmels, Sie sind der Lach-Spitzenreiter im Deutschen Bundestag – elfmal werden Sie in den Sitzungsprotokollen dieser Legislaturperiode namentlich als Lacher genannt. Was ist so lustig am Dasein als Abgeordneter?

Timon Gremmels: Im Bundestag einfach zuhören – das kann ich nicht. Parlament stammt vom lateinischen parlare ab, reden. Für mich bedeutet Parlament ein großes Palaver, mit allem, was dazugehört: reden, klatschen, abwinken, dazwischenrufen – und auch lachen. Man kann lachen, wenn ein Kollege etwas Lustiges sagt, wenn jemand von uns am Rednerpult einen Wirkungstreffer gegen die anderen erzielt. Und man kann natürlich auch höhnisch lachen. Herbert Wehner hat einmal gesagt: Der Zwischenruf ist das Salz in der Suppe des Parlamentarismus. Und ich darf ergänzen: Das Lachen ist der Pfeffer.

ZEIT: Sie sind Energieexperte bei der SPD. Eigentlich gibt es doch bei Ihrem Kernthema gerade wenig zu lachen …

Gremmels: Das stimmt. Wir stehen gerade vor Herausforderungen in der Energieversorgung, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr kannten. Hinzu kommt der Preisschock. Aber wenn die AfD in dieser Lage die Technik von vorgestern als die Lösung von morgen anbietet, darf man trotzdem schon mal lachen. Oder wenn die Union völlig vergisst, dass es die CDU-Kanzlerin Angela Merkel war, die den Ausstieg aus der Atomenergie nach Fukushima vor-gezogen hat, und die CDU jetzt die Atomkraft als Zukunftstechnologie verkaufen möchte. Wenn man da nicht lacht, wann dann?

ZEIT: Sie lachen also, so höre ich da raus, lieber über andere als mit ihnen?

Gremmels: Nein. Aber in der parlamentarischen Debatte hat das Lachen noch eine andere Funktion. Bei einem Zwischenruf müssen Sie schlagfertig und schnell im Kopf sein, man muss in ganz kurzer Zeit abchecken, ob das, was man rufen will, eigentlich schlau ist …

ZEIT: … kurzer Zwischenruf: Sie sind laut Protokoll nicht nur der meistgenannte Lacher, sondern auch einer der eifrigsten Zwischenrufer im Parlament.

Gremmels: Stimmt. Aber zuweilen bin ich dann doch nicht schnell genug – und dann lache ich. Das ist ja auch eine Kommentierung des politisch Gesagten. Für mich ist das Lachen ein Zwischenruf ohne Worte.

ZEIT: Die Stenografen des Bundestages unterscheiden zwischen »Lachen« und »Heiterkeit«. Lachen wird dabei eher als ein »lachen über«, also auslachen, verstanden, »Heiterkeit« als ein »lachen mit« – da war etwas lustig. Bei Ihnen verteilt sich das wie folgt: elfmal Lachen, nullmal Heiterkeit. Sind Sie doch nicht so lustig, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte?

Gremmels: Ich lache schon sehr gern über einen gelungenen Spruch – und haue selbst auch mal einen raus. Und über mich selbst kann ich auch gut lachen, da habe ich gar kein Problem. Ich verstehe mich schon auch als heiteren Menschen. Dass mich die Stenografen beim »Lachen« so auf dem Schirm haben, liegt wahrscheinlich daran, dass sie mich als Zwischenrufer gut kennen.

ZEIT: Setzen Sie das hämische Lachen, das Auslachen, bewusst als Waffe in der politischen Auseinandersetzung ein?

Gremmels: Lachen, um jemanden lächerlich zu machen – das wäre eine bewusste Steuerung, eine ganz gezielte Strategie. So geht die AfD vor. Die AfD führt die Debatte im Bundestag allein für ihre YouTube-Kanäle und Video-Portale. Sie setzt das hämische Lachen als Stilmittel ein, um den gesamten parlamentarischen Betrieb lächerlich zu machen. Insofern geht von dieser Art Lachen auch eine Gefahr aus.

ZEIT: Ein Abgeordneter bringt Sie besonders oft zum Lachen: Karsten Hilse von der AfD. Warum?

Gremmels: Karsten Hilse gehört zu den Hardlinern in der AfD, seine Reden grenzen oft an offene Hetze. Sein Menschen- und sein Gesellschaftsbild ist mir zutiefst zuwider. Wenn ich bei seinen Reden lache, dann ist das stets ein Lachen aus Verzweiflung.

ZEIT: Kommen wir mal vom Belachten zum Heiteren. Der unter »Heiterkeit« in den Bundestagsprotokollen namentlich am häufigsten Genannte ist – Überraschung! – Alexander Graf Lambsdorff. Hat der Adel mehr Sinn für Humor als die Sozialdemokratie?

Gremmels: (lacht) Ich bin kein Adelsexperte. Aber womöglich liegt die gute Laune von Graf Lambsdorff ja darin begründet, dass die FDP Teil der Ampel ist und mitregieren darf. Zwar gab es auch unter der Kanzlerin Angela Merkel viel zu lachen (lacht). Doch die Atmosphäre ist in der Ampel entspannter, als sie es in der Groko war. Obwohl die Themen härter, existenzieller geworden sind, wird heute in Koalitionsrunden der Energiepolitiker mehr gelacht, als es in der Groko der Fall war. Beim Lachen entlädt sich ja auch die ganze Spannung, unter der wir aktuell stehen. Lachen ist dann eine Verarbeitungsstrategie. Wenn die eigene Mimik die ganze Zeit die Weltlage widerspiegelt – wie soll man das aushalten?

ZEIT: Was muss man beim politischen Lachen am meisten beachten?

Gremmels: Dass man keine unpassenden Bilder produziert. Armin Laschet hat das die Karriere gekostet. Es gibt Themen, Momente und Anlässe, wo Politiker das Lachen tunlichst vermeiden sollten.

ZEIT: Zu guter Letzt: Haben Sie schon mal wegen der Politik geweint?

Gremmels: Ja. Ich habe früher sehr eng mit dem von einem Rechtsextremen ermordeten Regierungspräsidenten von Kassel, Walter Lübcke, zusammengearbeitet. Kurz nach der Tat gab es eine Debatte im Bundestag, bei der der Mord eine große Rolle gespielt hat. Bei meiner eigenen Rede hatte ich mich noch im Griff. Aber als der Kollege Brand von der CDU, ein Parteifreund von Lübcke, dann sehr persönlich über ihn sprach, war es vorbei – da flossen die Tränen. Emotionen gehören dazu.

 

Die Fragen stellte Peter Dausend