Ein Gastbeitrag im Solarzeitalter 1-2021
Kaum zehn Jahre sind vergangen, seit eine spektakuläre Fehleinschätzung die Erneuerbaren Energien in Aufruhr versetzte: So sinnvoll wie ‚Ananas züchten in Alaska‘ sollte der Ausbau der Solarenergie in Deutschland nach Ansicht des damaligen Vorstandsvorsitzenden eines großen deutschen Energieversorgungsunternehmens sein. Doch was heute albern klingt, hatte durchaus ernste Konsequenzen. Denn die Skepsis der großen Versorger, damals eher Regel denn Ausnahme, prägte das vergangene Jahrzehnt. Einschneidende Jahre waren die Folge, bedingt sowohl durch hausgemachte Probleme der hiesigen Solarbranche, chinesische Dumpingmodule und auch durch Fehleinschätzungen der deutschen Politik: Eine zunächst zu zögerliche, schließlich aber deutlich zu wuchtige Rückführung der Solarförderung beschäftigt uns bis heute; die Verdreifachung der EEG-Umlage während der schwarz-gelben Regierungsjahre und noch schmerzhaftere Beschäftigungsverluste in der deutschen Solarwirtschaft gehören zu den unrühmlicheren Kapiteln der deutschen Energiewende.
Die rasante Entwicklung, die die Solarenergie in der Zwischenzeit genommen hat, ist vor diesem Hintergrund fast schon unheimlich: Kaum für möglich gehaltene Kostensenkungen machen die Solarenergie zum entscheidenden ‚Game Changer‘ des globalen Energiesystems. ‚Solar ist the new king of electricity‘, heißt es heute selbst von der viele Jahre fossil dominierten Internationalen Energieagentur.
In Deutschland hat sich die Solarenergie zur günstigsten und beliebtesten Form der Energieerzeugung überhaupt entwickelt. Hierzulande ist die ebenerdig errichtete Solarenergie günstiger als die konventionelle Stromerzeugung aus Atom- und Kohlekraft – und zwar selbst dann, wenn deren unübersehbare Folgekosten für Umwelt und Gesundheit unberücksichtigt bleiben. Allein die rund 0,1 GW an Solaranlagen, die nach dem Ablauf ihrer zwanzigjährigen Vergütungsperiode zum 1. Januar 2021 aus der EEG-Umlage gefallen sind, schaffen Raum für bis zu 10 GW an neuen Freiflächenanlagen. Dass Solarparks auf geeigneten Flächen teilweise sogar ganz ohne EEG-Förderung realisiert werden, kann heute niemanden mehr überraschen.
Die Aufbruchsstimmung der Branche ist greifbar. Der Markt für Solaranlagen wächst seit einigen Jahren wieder im deutlich zweistelligen Bereich. Lag der Solarzubau in Deutschland zu Beginn dieser Legislaturperiode noch bei 1,75 GW, so können wir für 2020 einen Zubau von rund 5 GW vermelden; der jährliche Zubau hat sich seit 2017 also nahezu verdreifacht. Auch im internationalen Vergleich muss sich Deutschland mit diesen Werten nicht verstecken: Im vergangenen Jahr wurde ein Viertel des gesamten europäischen Solarzubaus in Deutschland realisiert.
Die politischen Voraussetzungen für den neuen Solar-Boom wurden in dieser Wahlperiode gelegt. Zunächst waren es die Sonderausschreibungen, die zu einem spürbar beschleunigten Zubau von Freiflächenanlagen geführt haben. Anschließend war es insbesondere die von der SPD gegen erhebliche Widerstände auf Seiten des Koalitionspartners durchgesetzte Abschaffung des Solardeckels für Dachanlagen, die für eine positive Stimmung in der Branche sorgte. Das Ergebnis ist eindeutig: Der Geschäftsklimaindex ‚Photovoltaik‘, den der Fachverband BSW Solar e.V. vierteljährlich erhebt, eilt von einem Rekord zum nächsten.
Das Comeback der Solarenergie kommt gerade zur rechten Zeit. Schließlich wird mit Blick auf das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachgeschärfte Klimaschutzgesetz und der Zielvorgabe, die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent zu reduzieren, in den kommenden Jahren ein noch ehrgeizigerer Ausbau der Erneuerbaren Energien erforderlich sein. Die zunehmende Elektrifizierung von Mobilität, Wärmeversorgung und Industrieprozessen lässt den Stromverbrauch Deutschlands bereits sehr zeitnah spürbar ansteigen, während bis Ende 2022 weitere 15 GW konventioneller Erzeugung vom Netz gehen. Nun da der Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft unumkehrbar beschlossen ist, kommt es daher vor allem auf den Ausbau an: Ohne einen deutlich höheren Anteil Erneuerbarer Energien werden wir die Klimaziele nicht erreichen.
Dass dabei vor allem der Solarenergie eine gewichtigere Rolle beigemessen wird, ist angesichts ihres weiterhin nicht voll ausgeschöpften Potenzials nur folgerichtig. Mit dem Markthochlauf von Stromspeichern, Elektroautos, Wärmepumpen und Elektrolyseuren sowie mit einer intelligenten Vernetzung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr ist unser Energiesystem immer besser dafür gewappnet, die Stromüberschüsse zur Mittagszeit gut aufzunehmen und zu verwerten. Das Argument einer vermeintlich drohenden Netzüberlastung, das viel zu häufig missbräuchlich gegen den Ausbau der Solarenergie in Stellung gebracht wurde, gehört damit endgültig der Vergangenheit an.
Der Grundstein für das weitere Wachstum der Solarenergie ist mit dem EEG 2021, der nach Branchenmeinung besten EEG-Novelle für die Solarenergie seit 2004, bereits gelegt: Mit der EEG-Umlagebefreiung von Solaranlagen bis 30 kWp entfesseln wir die dezentrale Energiewende; der Eigenverbrauch selbst der größten privat betriebenen Solaranlagen ist nunmehr vollständig von Abgaben und Umlagen befreit. Dass sich der Zubau von Solaranlagen auf Eigenheimen noch vor dieser Neuregelung in einem einzelnen Jahr verdoppelt hatte, zeigt, wie attraktiv Solaranlagen für die Bürgerinnen und Bürger damit heute wieder sind. Hinzu kommen eine spürbare Entschärfung der monatlichen Tarifdegression des ‚atmenden Deckels‘ sowie deutliche Verbesserungen für die Pioniere der Energiewende und ihre ‚Ü20-Anlagen‘. All diese Maßnahmen stärken die Investitionssicherheit und das Vertrauen in eine bürgernahe Energiewende; die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den weiteren, noch ehrgeizigeren Zubau der Solarenergie bleiben auch langfristig attraktiv.
Eine besondere Rolle spielt zudem die grundlegende Reform des Mieterstroms, die einer urbanen und zugleich sozial gerechten Energiewende neuen Schwung verleiht. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bereits vor drei Jahren aufgefordert, den Mieterstrom umfassend zu novellieren, im Herbst 2019 konkrete Vorschläge für eine Gesetzesnovelle vorgelegt (Solarzeitalter Nr. 1-2020). Dass es uns nun im EEG 2021 gelungen ist, Verbesserungen für den Mieterstrom durchzusetzen, die der Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (GdW) als „kleine Sensation“ bezeichnet, gehört aus unserer Sicht zu den größten energiepolitischen Erfolgen dieser Legislaturperiode. Endlich werden auch Mieterinnen und Mieter von günstigem Solarstrom vom eigenen Dach profitieren können.
Ein Wermutstropfen aber bleibt. Denn selbst der auf den letzten Metern vereinbarte, weitere kräftige Aufwuchs des planmäßigen Solarzubaus auf mindestens 8,5 GW in 2022 kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine ambitionierte Energie- und Klimapolitik in der nächsten Legislaturperiode nur mit Mehrheiten diesseits der Union umzusetzen sein wird. Längerfristige Weichenstellungen wie die erforderliche Anhebung der Ausbaupfade bis zum Jahr 2030 sind bis zuletzt an ihrem Widerstand gescheitert. Dabei gilt es nicht nur, endlich den stark ansteigenden Stromverbrauch als solchen anzuerkennen, sondern auch die neuen Vorgaben des ehrgeizigeren Klimaschutzgesetzes zu berücksichtigen.
Schon seit geraumer Zeit zeichnet sich ab, dass das mühsam erkämpfte Ziel des Koalitionsvertrags, bis zum Jahr 2030 einen Anteil der Erneuerbaren Energien von 65 Prozent am Bruttostromverbrauch zu erreichen, dafür absehbar nicht reichen wird. Vielmehr muss unsere Stromversorgung bereits in 2040 vollständig auf den Erneuerbaren Energien basieren, wenn fünf Jahre später auch die Wärmeversorgung, der Verkehr, die Industrie und selbst die Landwirtschaft klimaneutral sein sollen. Für die Solarenergie heißt das konkret, dass bis 2030 jährlich mindestens 10 GW, besser 12 und mittelfristig gar 15 GW zugebaut werden müssen.
Um solche Ausbauziele in der Praxis zu erreichen, müssen erhebliche, bislang ungenutzte Potenziale erschlossen werden, vor allem im Bereich bereits versiegelter Dachflächen. Das Ziel der SPD ist klar: Eine Solaranlage sollte möglichst auf jedes Dach. Neben attraktiven wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führt an einer bundesweit gültigen Solarpflicht deshalb kein Weg vorbei, auch wenn über deren konkrete Ausgestaltung im Detail diskutiert werden muss. Dass weiterhin Gewerbe- und Logistikhallen geplant und gebaut werden, deren Dachstatik nicht zumindest für die nachträgliche Installation einer Solaranlage ausgelegt ist, ist ein handfester Skandal, den wir nicht länger tatenlos hinnehmen können. Dass die öffentliche Hand ihrer Vorbildfunktion bei der Nutzung der Solarenergie nicht ansatzweise gerecht wird, ist nicht minder problematisch. Auch bei Freiflächenanlagen kommt es künftig stärker als bislang darauf an, naturverträgliche Standorte sowie flächeneffiziente Doppelnutzungen zu entwickeln. Neben der Agri-PV verspricht insbesondere die sog. Floating-PV enorme Flächenpotenziale mobilisieren zu können, zum Beispiel auf renaturierten Tagebau-Seen.
Gleichwohl kann es nicht mehr ausschließlich darum gehen, die Solarenergie möglichst schnell auszubauen. Angesichts ihrer zunehmend strategischen Bedeutung für das Gelingen der deutschen Energiewende, und damit für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes insgesamt, kommt es heute mehr denn je darauf an, die industrielle Wertschöpfung wieder in den Blick zu nehmen. In der Solarforschung ist Deutschland weltweit führend, bei Wechselrichtern sind wir technologisch ganz vorne mit dabei. Mit der bislang noch zaghaften Wiederbelebung der ehemaligen Solarstandorte im Osten der Republik öffnet sich gegenwärtig ein Fenster, die einst vollständig nach Fernost abgewanderte Solarzell- und Modulproduktion nach Deutschland zurückzuholen. Wie bei Batteriezellen, dem Mobilfunkstandard 5G oder anderen Schlüsseltechnologien müssen wir diese einmalige Chance zur Wiederansiedelung industrieller Wertschöpfung auch im Bereich der Solarindustrie nutzen – für Wachstum, Beschäftigung und Klimaschutz.
Autoren:
Timon Gremmels ist SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Dort ist er für seine Fraktion Berichterstatter für Solar- und Gebäudeenergie. Gremmels ist Mitglied bei EUROSOLAR.
Loïc Geipel ist studierter Volkswirt und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Abgeordnetenbüro von Timon Gremmels.