Persönliche Erklärung des Abgeordneten Timon Gremmels MdB zum Abstimmungsverhalten nach § 31 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu TOP ZP 18, Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Konsequenzen aus dem Brand in Moria ziehen – Lager auf den griechischen Inseln auflösen und Geflüchtete in Deutschland aufnehmen“, Drucksachen 19/22264, 19/22579 und ZP 25, Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Nach dem Brand von Moria – Für schnelle Nothilfe und einen menschenrechtsbasierten Neustart der europäischen Flüchtlingspolitik“, Drucksache 19/22679 am 18.09.2020
Ich möchte erläutern, warum ich den Anträgen der Fraktion Die Linke und B’90/Die Grünen nicht zustimme, obwohl ich doch für die Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland bin? Mich beschämt und entsetzt das gemeinschaftliche Versagen in Europa. Die Zustände auf Lesbos und den anderen griechischen Inseln sind bereits seit langem katastrophal und unerträglich. Durch die verheerenden Brände im Flüchtlingscamp Moria hat sich die Lage nochmals massiv verschlechtert. Rund 13.000 Menschen haben nun auch noch ihr letztes Dach über dem Kopf verloren. Frauen, Männer und Kinder leben buchstäblich auf der Straße. Es handelt sich um eine humanitäre Katastrophe. In enger Kooperation mit der griechischen Regierung
leistet Deutschland Unterstützung, um die akute Situation zu entschärfen. Über das THW und das DRK wurden bereits umfangreiche Lieferungen von Sachmitteln bereitgestellt. Weitere werden folgen.
Linke und Grüne haben sich dazu entschlossen, über ihren Antrag jeweils namentlich abstimmen zu lassen. Es ist ein Irrglaube, dass die SPD-Bundestagsfraktion einfach nur dem Antrag der Fraktion ‚Die Linke‘, oder von B‘90/Die Grünen zustimmen müsste und schon kämen die Menschen nach Deutschland. Es ist von vornherein klar, dass diese keine Mehrheit
erhalten werden, denn es gibt in dieser Wahlperiode keine linke Mehrheit aus SPD, Linken und Grünen im Deutschen Bundestag. AfD, FDP und CDU/CSU sind leider in der Mehrheit. Wem das nicht gefällt, der muss mit seiner Wahlentscheidung bei der nächsten Bundestagswahl für andere Verhältnisse sorgen.
Ich weiß, dies ist für die Bürgerinnen und Bürger nur sehr schwer nachvollziehbar. Emotional würde ich den Anträgen zustimmen. Es entspricht aber nicht meiner Aufgabe als verantwortlicher Politiker, symbolpolitische Anträge zu beschliessen, die effektiv nichts verbessern, sondern Türen zuschlagen. Vielmehr nutze ich zusammen mit meiner Fraktion der SPD die
Möglichkeiten, die uns als an der Regierung beteiligte Fraktion offen stehen, um konkrete Lösungen zu entwickeln. Hier haben wir einiges erreicht und arbeiten – so schwer das auch häufig ist – mit unserem Koalitionspartner daran, mehr für die Geflüchteten auf den griechischen
Inseln und dem Festland zu tun.
Deutschland engagiert sich hierbei in großem Maße und hat bei den anderen europäischen Mitgliedstaaten dafür geworben, geflüchtete Menschen aus Griechenland aufzunehmen. Das Ergebnis ist, dass sich bereits vor den Bränden in Moria in der europäischen Koalition der Menschlichkeit mittlerweile elf EU-Länder plus Norwegen und Serbien an der Aufnahme von
Geflüchteten beteiligen. Deutschland hat die Aufnahme von knapp 1.000 Menschen, unbegleiteten Minderjährigen, behandlungsbedürftigen Kindern und ihrer Familien, zugesagt. In diesem Rahmen sind bislang 758 Geflüchtete aus Griechenland überstellt worden, 574 nach Deutschland, 184 in sechs weitere Länder. Der Prozess läuft leider nur sehr schleppend. Zudem hat die SPD sich dafür stark gemacht, in der aktuellen Situation nun nicht auf die
schwerfällige Einigung zwischen mehreren europäischen Mitgliedstaaten zu warten, sondern unser zugesagtes Kontingent jetzt weiter zu erhöhen. Es ist gut, dass sich die Union auf unseren Druck hin endlich bewegt hat. Wir nehmen nun weitere 150 Kinder und Jugendliche und 1.553 Menschen, hauptsächlich Kinder und ihre Familien, in einem eigenständigen Kontingent
auf.
Deutschland nimmt somit nun insgesamt ca. 2.750 Personen aus Griechenland auf und leistet einen wichtigen Beitrag zur spürbaren Entlastung der griechischen Inseln. Dies alles ist auf unsere Initiative und gegen den erheblichen Widerstand des Koalitionspartners zustande
gekommen.
Damit ist es aus unserer Sicht noch nicht getan. Wir sehen unsere europäischen Partner weiter mit uns in der Verantwortung. Deshalb werben wir weiter um Unterstützung für die gemeinsame Initiative aufnahmebereiter europäischer Partnerländer. Auf eine europäische Lösung darf man nicht warten, man muss für sie arbeiten. Die Aufnahmebereitschaft vieler
Bundesländer und Kommunen in Deutschland – auch in meinem Kasseler Wahlkreis – gilt es zu nutzen. Wir brauchen eine dauerhafte Lösung mit möglichst vielen EU-Mitgliedsstaaten und einen ständigen Hilfsmechanismus, sodass wir nicht bei jeder Notlage erst in schwerfällige Verhandlungen darüber treten müssen, wer wieviel Unterstützung leistet.
Für eine grundsätzliche Lösung brauchen wir eine Neuausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik und des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir dazu vor der Sommerpause einen klaren Beschluss mit konkreten Umsetzungsvorschlägen verabschiedet. Wir müssen weg vom Prinzip der Zuständigkeit des Ersteinreisestaates
und brauchen eine gerechte und solidarische Verteilung geflüchteter Menschen auf die einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Nur so schaffen wir dauerhaft eine Entlastung für diese Staaten. Ein erster Schritt könnte, wie bereits im Frühjahr von uns vorgeschlagen, die Entwicklung eines Pilotmodells für ein gemeinsam betriebenes Asylzentrum unter europäischer
Flagge auf den griechischen Inseln sein.