Die 180 Grad-Wende der schwarz-gelben Bundesregierung in Sachen Atomkraft nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März diesen Jahres bedeutete auch das Aus der beiden Altmeiler Biblis A (1974) und Biblis B (1976). Rund 16 Terrawattstunden Strom erzeugten die beiden Blöcke des einzigen hessischen Atomkraftwerks pro Jahr, wenn sie denn liefen, was in den letzten Jahren aufgrund zahlreicher Zwischenfälle nicht immer der Fall war. Biblis konnte also rechnerisch rund ein Drittel des jährlichen Strombedarfs in Hessen liefern. Doch damit war mit dem Atom-Moratorium im März dieses Jahres Schluss. Die hessischen Regierungsparteien CDU und FDP wurden von der plötzlichen Atomwende auf Bundeseben auf dem falschen Fuß erwischt. Sie waren bis dahin große Verfechter längerer AKW-Laufzeiten und wurden von dem abrupten Ende der Atomkraft in Hessen völlig überrascht. Die Landesregierung hatte keine eigene Vorstellung darüber, wie die Energieversorgung in Hessen ohne die beiden Biblis-Blöcke aussehen soll. Die erneuerbaren Energien wurden in den letzten zwölf Jahren von den Ministerpräsidenten Roland Koch und Volker Bouffier weitestgehend ignoriert, mitunter sogar aktiv bekämpft. Kein Wunder also, dass Hessen bei den letzten beiden Leitstern-Studien der Agentur für Erneuerbare Energie stets Schlusslicht unter den bundesdeutschen Flächenländern war. Insbesondere bei der Windkraft nutzt Hessen bisher seine Potentiale nur unzureichend aus. Grund hierfür war die bisherige Verhinderungsplanung der Landespolitik. Sowohl der Landesentwicklungsplan als auch die drei hessischen Regionalpläne waren davon geprägt, den Ausbau der Windkraft zu verhindern, statt zu befördern. Es war Hermann Scheer, der diese hessische Verhinderungsplanung anprangerte und am Beispiel Hessens zeigen wollte, wie man ein Bundesland innerhalb von zwanzig Jahren zu 100% auf dezentrale erneuerbare Energien umstellen kann. Seine energiepolitischen Vorstellungen wurden im Landtagswahlkampf 2008 von vielen Seiten diskreditiert. Dies gipfelte in einer CDU-Plakatkampagne gegen „Windkraftmonster“.
Durch das Ende der Atomkraft in Hessen im Frühjahr 2011 wurde die Landesregierung von der Realität überrollt. Sie musste sich nun auf die erneuerbaren Energien einlassen und die alten ideologischen Vorbehalte größtenteils über Bord werfen.
Wenn du nicht mehr weiter weist, gründe einen Arbeitskreis
Ministerpräsident Volker Bouffier und sein Kabinett mussten in Sachen Erneuerbare Energien bei null anfangen. Er machte aus der Not eine Tugend und berief auf Vorschlag des DGB-Vorsitzenden Hessen-Thüringen, Stefan Körzell, einen hessischen Energiegipfel ein. Ziel war es mit allen gesellschaftlich relevanten Akteuren einen Energiekonsens für das Bundesland zu erreichen. Doch schon bei der Frage, wer an einem solchen Gipfel mitarbeiten sollte, gab es erste Auseinandersetzungen. So sollten neben den im Landtag vertretenen Parteien zunächst nur Vertreter von E.ON, RWE, Kammern, kommunale Spitzenverbände und Gewerkschaften miteinander diskutieren. Erst auf Druck der Opposition wurden Verbände der erneuerbaren und dezentralen Energien, der Verband kommunaler Unternehmen und der BUND hinzu geladen.
In vier Facharbeitsgruppen diskutierten weit über hundert Experten mehr als ein halbes Jahr über die Möglichkeiten, Hessens Anteil an Erneuerbaren Energien am Strommix auszubauen, die Energieeffizienz zu erhöhen, einen Konsens bei der künftigen Energieinfrastruktur zu finden sowie die Akzeptanz insbesondere für Windkraft bei der Bevölkerung zu steigern.
Die Gipfelsitzungen selbst wurden zum Volkshochschulkurs für CDU und FDP in Sachen Erneuerbaren Energien. Die Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft brachten die Skeptiker auf den aktuellen Stand bei diesen Zukunftstechnologien. Nach fünf Runden in der Spitzengruppe und unzähligen Sitzungen der Facharbeitsgruppen wurde Mitte November ein Schlussdokument vorgestellt. Dieses hat Licht und Schatten und ist keinesfalls der große Wurf, der von einigen erwartet wurde. Ein vollständiger Energiekonsens für Hessen wurde durch den Gipfel nicht erreicht. Zu groß waren und sind die Differenzen der verschiedenen Akteure in wesentlichen energiepolitischen Fragen. Dies wird auch durch die zahlreichen Protokollerklärungen der unterschiedlichen Gruppen in dem Abschlussbericht des Gipfels deutlich. Der Gipfel führte aber zu Bewegungen in einer entscheidenden Frage der hessischen Energiepolitik.
Zwei Prozent Windvorrangflächen
Das wichtigste Ergebnis des Energiegipfels ist die Verfünffachung der Windvorrangflächen. Auf Grundlage einer Studie des Kasseler Fraunhoferinstituts IWES (www.eeg-aktuell.de/wp-content/uploads/2011/04/IWES_Potenzial_onshore_2011.pdf) soll es in Hessen künftig Windvorrangflächen in einer Größenordnung von zwei Prozent der Landesfläche geben. Mit dieser Fläche, die Platz für rund 1.500 Windkraftanlagen – inklusive erneuerter Anlagen – schaffen würde, könnten 28 Terrawatt Strom pro Jahr produziert werden. Das entspreche rund 60 Prozent des hessischen Strombedarfs und wäre deutlich mehr als durch die beiden AKW-Blöcke bisher geliefert wurde.
Insbesondere diese Regelung ist eine postume Genugtuung für Hermann Scheer, der vor vier Jahren für Hessen 1,5 Prozent Windvorrangflächen forderte und dafür – auch aus den eigenen Reihen – viel Gegenwind erhielt.
Bei der Festlegung auf einen festen Anteil Windvorrangfläche gab es zunächst großen Widerstand insbesondere aus den Reihen der CDU. Es wurde versucht, eine Abschwächung der zwei Prozent Vorrangfläche mit Wortspielereien wie „bis zu 2 Prozent“ zu erreichen. Doch die Oppositionsparteien und der BUND machten dabei nicht mit. Auch der öffentliche Druck stieg. Mit den zahlreichen Gipfelrunden hatte Bouffier bei den Medien die Erwartung nach handfesten Ergebnissen geweckt. Somit gab die CDU schlussendlich ihrem Widerstand auf.
Nicht durchsetzen konnten sich SPD und Grüne mit der Forderung, die zwei Prozent Vorrangfläche verbindlich im Landesentwicklungsplan festzuschreiben. Nun ist es Aufgabe der drei hessischen Regionalversammlungen, diese Ziele in ihren Regionalplänen umzusetzen. Die Chancen stehen gut. Auch in den Regierungsbezirken hat sich mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass es zu Onshore-Windkraft keine wirkliche Alternative gibt.
Streitpunkt Hessische Gemeindeordnung
Will man mittelfristig vollständig auf Erneuerbare Energien setzen, sind die Kommunen die wichtigsten Partner zur Umsetzung einer dezentralen und erneuerbaren Energieversorgung. Denn nur mit den Städten und Gemeinden ist die Energiewende kostengünstig, schnell und effizient realisierbar. Einem verstärkten Engagement der Kreise, Städte und Gemeinden bei der Energieproduktion steht seit 2004 allerdings eine verschärfte Hessische-Gemeindeordnung (HGO) entgegen. Die FDP hatte damals durchgesetzt, dass Kommunen sich nicht wirtschaftlich betätigen dürfen, sondern privaten Dritten den Vortritt lassen müssen. Im Rahmen des Energiegipfels war es daher Ziel der drei Oppositionsparteien, der kommunalen Spitzenverbände und des DGB, diese Einschränkung zu beseitigen. Doch die Forderung, die kommunalwirtschaftliche Betätigung im gesamten Energiesektor zu erleichtern, fand bei den Regierungsparteien – insbesondere der FDP – nur vordergründig Gehör. Der gefundene Formulierungsvorschlag zur Änderung der HGO im Abschlussbericht ist eine Verschlechterung gegenüber dem Status quo. Zwar stellt der Betrieb von neuen erneuerbaren Energieerzeugungsanlagen durch Gemeinden, die sich bisher überhaupt nicht in der Energieerzeugung betätigten, eine scheinbare Öffnung dar. Allerdings ist selbst diese leichte Öffnung unnötig kompliziert gestaltet. Darüber hinaus könnte die vorgeschlagene Formulierung dazu führen, dass den Kommunen, die Stadtwerke neu gründen wollen, dies nicht etwa erleichtert, sondern erschwert bzw. unmöglich gemacht wird, da die Verteilung von Energie ausgeschlossen sein soll.
Weiterhin sollen die Kommunen Dritte, privatwirtschaftliche Akteure, zu 50 Prozent mit ins Boot der Energieversorgung holen. Eine kommunale Mehrheit bei einem solchen Gemeinschaftsprojekt gäbe es dann nicht mehr. Erst, wenn nach eingehender Prüfung der Aufsichtsbehörde kein Privater gefunden wird, dürfen die Kommunen alleine agieren. Nicht nur, dass dieses Vorgehen zu zeitlichen Verzögerungen führen wird. Vielmehr dürfte dies zu Abschreckungen bei den Kommunen führen sich selbst als Energieerzeuger zu betätigen. In wie weit diese Änderung der HGO noch beeinflussbar ist, ist schwer vorhersehbar. Zahlreiche Kommunalpolitiker aller Couleur, aber auch die Oppositionsparteien und die kommunalen Unternehmen haben sich gegen diese „Verschlimmbesserung“ und für eine weitreichende Öffnung der kommunalwirtschaftlichen Betätigung im gesamten Energiesektor ausgesprochen. Ob das Rufen der Kommunalen bei den Landespolitikern insbesondere der FDP ankommt darf bezweifelt werden. Das von der FDP vorgebrachte und von der Landesregierung übernommene Credo „Privat vor Staat“ ist eine ideologisch begründete Hürde, die die Kraft hat, die kommunale Energiewende auszubremsen.
Dissens Kohle
Keinen Konsens gab es auch in der Frage wie die Übergangszeit in Hessen bis zur vollständigen Versorgung aus Erneuerbaren Energien gestaltet werden soll. Die hessischen Regierungsparteien halten weiterhin an der Kohlekraft als Brückentechnologie fest und wollen den Ausbau bestehender Kohlekraftwerke wie Block 6 des E.ON-Kraftwerks „Staudinger“ bei Hanau vorantreiben. Die Kohlekraft soll aus ihrer Sicht als Brückentechnologie dienen und für eine sichere Energieversorgung und Netzstabilität sorgen. Die Oppositionsparteien im Hessischen Landtag teilen diese Überlegungen nicht. Aus Sicht der SPD sollten für die Übergangszeit vielmehr kleine, hocheffiziente und schnell reagierende Gaskraftwerke genutzt werden. Hier unterscheiden sich die hessischen Sozialdemokraten von den Parteifreunden aus Nordrheinwestfalen.
Eine spannende Frage bleibt weiterhin der geplante Bau des sechsten Blocks im Kohlekraftwerk Staudinger. Mit einem Neubau wären mindestens vierzig Jahre lang energiepolitische Fakten geschaffen und diese würden den schnellen und dezentralen Ausbau der Erneuerbaren Energien drosseln. Ob allerdings der Kraftwerksbetreiber noch an dem Neubau festhält, ist bis heute nicht geklärt. Es gibt Anzeichen dafür, dass E.ON aus wirtschaftlichen Erwägungen Abstand von dem Projekt nehmen wird.
Fazit
Ministerpräsident Volker Bouffier, der im Mai diesen Jahres im Hessischen Landtag noch vor dem „naiven Glauben an die alternativen Energien“ gewarnt hatte, hat ein Abschlussdokument unterzeichnet, mit dem Ziel Hessen bis 2050 vollständig aus Erneuerbaren Energien (Strom und Wärme) zu versorgen. Das ist ein klares Bekenntnis. Allerdings ist das Gipfelergebnis nur der Zipfel einer hessischen Energiewende. Dieser Teilkonsens ist die notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung dafür, dass Hessen beim Ausbau der Erneuerbaren Energie endlich vorankommt.
Nachdem Ende des Gipfels müssen dem Abschlusspapier Taten folgen. Das, was Konsens ist muss umgehend in ein Gesetzgebungsverfahren münden. Aus diesen Gründen hat die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag noch im Dezember ein Artikelgesetz eingebracht. Mit diesem sollen die ersten konkreten Schritte zur hessischen Energiewende eingeläutet werden. Beinhalten wird das Artikelgesetz Änderung des Landesplanungsgesetzes (verbindliche Festschreibung der zwei Prozent Windvorrangfläche), in der Hessischen Bauordnung (Dächer von Industrieanlagen müssen zukünftig Solarthermie- und Photovolataikanlagen tragen können), dem Hessischen Energiegesetz (Schwerpunktsetzung der Verbraucher-Beratung auf Energieeinsparung und -effizienz) und dem Hessischen Denkmalschutzgesetz (vereinfachte Genehmigung für Solarthermie- und Photovoltaikanlagen auf denkmalgeschützten Gebäuden). Alle Änderungen gehen auf konsensgetragene Vorschläge aus dem Energiegipfel zurück. Auch in den Haushaltsberatungen für 2012 haben sowohl SPD als auch Grüne Mittel in Höhe von 37 Mio. Euro beantragt, um insbesondere die Energieberatung, Energieeffizienzmaßnahmen und die energetische Gebäudesanierung mit originären Landesmitteln voranzubringen.
Doch insbesondere die Einbeziehung der Kommunen bleibt weiterhin unzureichend und bedarf einer dringenden Überarbeitung nach einem möglichen Regierungswechsel 2013/2014. Ohne eine aktive Rolle der Kommunen sind die vereinbarten Ziele nicht zu erreichen. Die Energiepolitik bleibt daher weiterhin ein wichtiges Themenfeld der landespolitischen Auseinandersetzung. Auch nach dem Energiegipfel muss noch viel Überzeugungsarbeit für einen Umstieg auf eine primär dezentrale Produktion Erneuerbarer Energien geleistet werden. Weder der Atomausstieg, noch ein hessischer Energiegipfel reichen für eine echte Energiewende aus. Auch die alleinige Begründung der Energiewende Klimaschutz ist zu einfach. Denn dezentrale Erneuerbare Energien können mehr: Sie machen uns unabhängig von Energieimporten, schaffen tausende von Arbeitsplätzen, machen Deutschland zum Weltmarktführer einer der Zukunftstechnologien, schaffen regionale Wertschöpfung und sorgen für Einnahmen für die meist klammen kommunalen Haushalte. Diese Chancen zu erkennen und offensiv zu nutzen, davon ist – trotz Energiegipfels – nicht nur Hessen meilenweit entfernt.
www.energiegipfel.hessen.de