Rede Timon Gremmels, MdL Hessen auf der ersten EUROSOLAR-Fach-konferenz „Neue Raumordnung für Erneuerbare Energien“ am 17.05. in Kassel

Sehr geehrte Frau Pontenagel,
sehr geehrter Herr Dr. Longo,

gestatten Sie, dass ich mich zunächst kurz vorstelle:
– MdL seit Nov 2009 für den Wahlkreis Kassel-Land II
– Kreistagsabgeordneter und Gemeindevertreter seit 2001
– Mitglied der Regionalversammlung Nordhessen seit 2006
– Programmreferent der Hessischen SPD (Vergnügen mit Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer das – insbesondere im Energiebereich vielbeachtete – Landtagswahlprogramm zu verfassen).
– Referent für Wirtschaft und Energie bei der SPD-Landtagsfraktion
– Stabsstelle beim Vorstand für CSR bei der SMA Solar Technology AG

Solarregion Nordhessen:
Zunächst möchte ich Eurosolar danken, dass sie das Kreishaus in Kassel als Tagungsort für ihre Tagung „Neue Raumordnung für Erneuerbare Energien“ gewählt haben. Der Landkreis Kassel im Herzen der Solarregion Nordhessen ist Dank der visionären Politik des Landrats a.D. Dr. Udo Schlitzberger führend in Sachen Erneuerbare Energien. Ich kann mich noch erinnern, als wir Mitte der 90er Jahre auf der Jugendburg Sensenstein die erste Photovoltaik (PV)-Anlage eingeweiht haben. Allein auf kreiseigenen Dächern – insbesondere unseren Schulen – gibt es derzeit rund 60 Photovoltaikanlagen, die 1,2 Megawatt (MW) Strom produzieren. Auch auf diesem Gebäude ist eine PV-Anlage, deren Leistung und Ertrag für alle Besucher im Eingangsbereich angezeigt wird. Viele unserer Schulen nutzen nachwachsende Rohstoffe – sogenannte Holzhackschnitzelfeuerungsanlagen – und auch in Sachen Windkraft ist der Landkreis Kassel hessenweit an zweiter Stelle. In der Solarregion Nordhessen kann man sehen, dass die Erneuerbaren ein Jobmotor der Zukunft ist. Neben SMA, dem Weltmarktführer für PV-Wechselrichter mit rund 5.000 Jobs in und um Kassel, Wagner Solar in Cölbe bei Marburg, Kirchner Solar in Alheim oder Blue Tec in Bad Karlshafen um nur einige zu nennen: Die Menschen in Nordhessen wissen über das immense Arbeitsplatzpotential der Erneuerbaren Energien.
Nordhessen konnte sich in den letzten Jahren also erfolgreich zur Solarregion entwickeln. Und das trotz dieser schwarzen Landesregierung, die in Sachen Erneuerbare Energien eine Verhinderungsplanung betreibt. Hessen ist Schlusslicht bei der Nutzung der Erneuerbaren Energien bei den Flächenländern.

Landespolitische Voraussetzungen:
Um dem entgegenzuwirken hat die hessische SPD unter ihrer ehemaligen Vorsitzenden Andrea Ypsilanti konsequent den Weg zum Ausbau der Erneuerbaren Energien beschritten. Unsere Ideen und Ansätze – von Fachleuten hoch gelobt – wurden von der Lokalpresse aber vor allem auch von der CDU massiv diskreditiert. Die Union warb im Landtagswahlkampf 2007/2008 mit Plakaten gegen die Nutzung der Windkraft, indem sie Windkraftanlagen als Windkraftmonster bezeichnete und unseren Schattenminister für Wirtschaft und Umwelt verunglimpfte. Nach der gescheiterten rot-grünen Regierungsübernahme, auf deren Gründe ich nicht weiter eingehen möchte, hat Roland Koch – wieder einmal – seine Position gewechselt und in seiner Regierungserklärung im Februar 2009 als wiedergewählter Ministerpräsident betont, Hessen zum Musterland für Erneuerbare Energien machen zu wollen.
Umsetzen sollte diese Vorgabe die bisherige hessische Sozialministerin Silke Lautenschläger, die nun als Ministerin für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz dem gegenwärtigen Kabinett Roland Kochs angehört. Zumindest im Namen des Ministeriums finden sich erstmals in Hessen Umwelt und Energie in einem Ressorttitel. Allerdings fehlen im Ressortzuschnitt wichtige Abteilungen, die für eine konsequente und ernste Erfüllung des selbstgesteckten Ziels, Hessen zum Musterland für Erneuerbare Energien zu machen, notwendig gewesen wären.
Dass es sich dabei nur um ein Lippenbekenntnis der Landesregierung handelt, zeigt die Tatsache, dass Umweltministerin Lautenschläger auch im 15 Monat seit ihrem Amtsantritt bisher keinen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der den Weg zu diesem Ziel beschreibt. Das einzige, was Sie bisher zustande gebracht hat ist ein unverbindliches Eckpunktepapier. So möchte die Ministerin bis 2020 20% des Energieverbrauchs Hessens maßgeblich mit Off-Shore-Windkraft aus der Nordsee abdecken. Eine Strategie, welche den Strom weder dezentral produziert, noch die regionale Wertschöpfung steigert. Die Vorstellung dieses unverbindlichen Eckpunktepapiers im Rahmen einer lustlosen Regierungserklärung der Ministerin hat laut FAZ selbst bei Teilen der CDU-Fraktion zu Kopfschütteln geführt. Statt sich ernsthaft über eine Stärkung der Erneuerbaren Energien einzusetzen, kämpft Frau Lautenschläger unermüdlich für eine Laufzeitverlängerung von Biblis und sie sprach sich für die überhöhten Kürzungen bei der PV-Einspeisevergütung aus.

SPD-Gesetzentwurf:
Die hessische SPD-Fraktion ist da weitaus ambitionierter. Bereits im vergangenen Jahr haben wir ein Artikelgesetz zum Vorrang Erneuerbarer Energien in den Landtag eingebracht. Der Entwurf basiert im Wesentlichen auf einer Vorlage von Hermann Scheer, den er als hessischer Schattenminister für Wirtschaft und Umwelt erarbeitet hat.
Mit dem Artikelgesetz sollen folgende Landesgesetze geändert bzw. ergänzt werden:
– Hessisches Landesplanungsgesetz,
– Hessisches Energiegesetz (Fassung von 1994),
– Hessische Gemeindeordnung,
– Hessische Bauordnung
– sowie die Landeshaushaltsordnung.

Der Schwerpunkt liegt aber ganz klar bei der Landesplanung. Wir wollen, dass die Nutzung Erneuerbarer Energien als vorrangiger öffentlicher Belang verankert wird.
– Wir wollen 1,5% der Landesfläche als Vorranggebiete vorsehen und die Regionalpläne entsprechend anpassen.
– Ein Landeskataster für Erneuerbare Energien soll alle Potentiale für die regenerative Energieerzeugung ermitteln und für deren Erschließung sorgen.
– Wir wollen eine Verbesserung der Energieberatung. Auch hier ist der Landkreis Kassel mit seiner Energieberatungsagentur „Energie 2.000“ vorbildlich.
– Bei der Wärmegewinnung soll die Solarthermie Vorrang erhalten.
– Die kommunale Selbstverwaltung bei der Planung von Windenergiestandorten würde durch uns erheblich gestärkt.
– Eine Clearingstelle soll vor dem Genehmigungsverfahren dafür sorgen, Streitigkeiten aufzulösen. Dieser Vorschlag wird selbst von der CDU unterstützt
Wir wollen, dass die Kommunen selbstverständlich das Dach ihrer Schule oder ihres Kindergartens selbst für PV nutzen dürfen und die Einnahmen so den klammen Kommunen zugutekommen und diese nicht, wie jetzt vorgeschrieben, verpachten müssen, da es Ihnen nicht erlaubt ist, sich wirtschaftlich zu betätigen. Im Klartext heißt es im aktuellen Gesetzestext: Kommunen dürfen sich nur da wirtschaftlich betätigen, wo es kein privates Interesse gibt. Diese kommunalfeindliche Regelung wollen wir wieder abschaffen.

Bei der Expertenanhörung im letzten November erfuhr unser Gesetzentwurf viel Zuspruch. CDU und FDP verweigerten aber in den ersten beiden Lesungen ihre Zustimmung. An diesem Donnerstag ist die dritte und letzte Lesung unseres Gesetzentwurfes. Es ist nicht zu erwarten, dass die Regierungsfraktionen dann eigene Ideen präsentieren, wie sie die Landesgesetze offener für erneuerbare Energiequellen gestalten wollen. Obwohl selbst Frau Lautenschläger kommt in Ihrem unverbindlichen Eckpunktepapier zu der Erkenntnis, dass es „insbesondere bei Windkraft noch rechtliche Hemmnisse gebe, die es zu beseitigen gelte.“
Immerhin kündigten CDU und FDP zwischenzeitlich Eckpunkte für ein eigenes Gesetz für Sommer diesen Jahres an. Es darf gespannt sein, was uns da erwartet. Außerdem verweisen CDU und FDP darauf, dass im Rahmen der Fortschreibung des Landesentwicklungsplans 2020, der 2011/2012 verabschiedet werden soll, auch das Thema ‚Erneuerbare Energien‘ aufgegriffen werden soll. Hier rächt es sich jetzt, dass Umweltministerin Lautenschläger zwar im Ressorttitel die Zuständigkeit für Energie führt, der Landesentwicklungsplan, der auch die Grundlage für die künftigen hessischen Regionalpläne ist, aber von Hessens Wirtschaftsminister Dieter Posch (FDP) erarbeitet wird. Aus meiner Sicht ein Kardinalfehler. Der Schlüssel zur verstärken Nutzung der Erneuerbaren Energien ist das Landesplanungsrecht. Wer diesen Schlüssel leichtfertig aus der Hand gibt, gibt auch die zentrale Einflussmöglichkeit der Landespolitik aus der Hand. Dies war sicherlich auch der Grund, warum Hermann Scheer in einer rot-grünen Landesregierung auf das Wirtschaftministerium gesetzt hat.

Regionalplan Nordhessen:
Landesentwicklungsplanung und Regionalplanung sind die Schlüssel zur Umsetzung für mehr Erneuerbare Energien. In Hessen gibt es drei Regierungsbezirke mit jeweils eigener Regionalversammlung (RV), die sich mit entsannten Kommunalpolitikern aus den Städten und Gemeinden des Regierungsbezirks zusammensetzen. Zentrale Aufgabe dieser Regionalversammlungen ist die Erstellung eines Regionalplans, der alle acht Jahre fortgeschrieben werden muss und die Landesplanung konkretisiert sowie Umsetzungsstrategien umfasst.
Windkraft
Ich gehöre der Regionalversammlung seit 2006 an. Damals wurde am aktuellen Regionalplan für Nordhessen gearbeitet. Insbesondere bei der Frage, wieviel Fläche für Windkraft ausgewiesen werden sollte, herrschten in der Regionalversammlung sehr unterschiedliche Meinungen. Die Konflikte gingen wohlgemerkt quer durch die verschiedenen Fraktionen. Für die SPD-Fraktion erinnere ich mich, dass auch hier mehrheitlich eine restriktive Line bezüglich der festzulegenden Vorranggebiete vorherrschte. Zeitgleich hatte die hessische SPD aber ihr ambitioniertes Energieprogramm vorgestellt, die in der RV-Fraktion nicht gerade auf Begeisterung stießen. Ich war damals Fraktionsgeschäftsführer und bat Hermann Scheer meine Fraktionskollegen von einer verstärkten Nutzung der Windkraft zu überzeugen, was ihm in beeindruckender Weise auch gelang. Seit dem war die SPD in der RV der Motor für mehr Windenergie in Nordhessen.
Nach der ersten Offenlegung des Regionalplans wurde dieser nochmals überarbeitet. Denn mittlerweile hatte man auch im Regierungspräsidium erkannt, dass die zugeringe Ausweisung von Vorranggebieten für Windenergie vor dem Verwaltungsgericht als faktische Ausschlussgebiete hätten gewertet werden können. Schließlich wurde der Regionalplan Nordhessen im März diesen Jahres verabschiedet. Er weist 1.150 ha Bestandsfläch als Vorranggebiete für Windenergie aus. In dieser Bestandsfläche liegen 160 Windenergieanlagen mit einer installierten Nennleistung von rund 160 Megawatt. Durch Repowering wird sich diese Leistung in den nächsten Jahren mehr als verdoppeln. Hinzu kommen weitere 1.250 ha Planungsfläche für Windkraft. Hier können in den nächsten Jahren über 100 Windenergieanlagen mit einer installierten Nennleistung von rund 250 MW realisiert werde, was insgesamt ein Plus von 400 MW verglichen zum alten Regionalplan bedeuten würde.
Aus meiner Sicht ist dies mit 0,3 Prozent der Fläche Nordhessens noch deutlich zu wenig. Mehr war aber aufgrund der derzeitigen Mehrheitsverhältnisse und der selbstgesteckten Kriterien nicht drin. Allerdings herrscht in der RV Einvernehmen darüber, dass in Sachen Windkraft nicht die übliche Fortschreibung des Regionalplans – alle 8 Jahre – sinnvoll ist. Die Dynamik ist deutlich schneller. Kaum war der Regionalplan vom, lagen dem Zentralausschuss die ersten Anträge auf Abweichung vom Regionalplan auf dem Tisch. Nach meinem Kenntnisstand sind es derzeit sechs. Kein Wunder, dreht sich doch in Sachen Windkraft der Wind. Vielerorts sind Bürgermeister, die gestern noch gegen Windkraftanlagen waren, mittlerweile dafür, verspüren sie doch gerade in Zeiten klammer Kommunalhaushalte Einnahmeanreize über die Gewerbesteuer. Dieser Trend wird allerdings nur solange anhalten, wie sich die FDP mit ihrem Ziel der Abschaffung der Gewerbesteuer in der Bundesregierung nicht durchsetzen wird.
In Sachen Windkraft ist in Nordhessen viel Spielraum. Zum Beispiel beim Repowering sowie bei Flächen die beim avifaunistischen Gutachten von 2008 in der Wertungsstufe 3 lagen (rund 220.000 ha) und bei der bisher festgelegten Abstandsregelung von Industrie- und Gewerbegebieten (500 Meter). Hinzu kommen bisher aus forst- und naturschutzfachlicher Sicht freigehaltene, große, zusammenhängende und bisher ungenutzte Waldgebiete. Mit dem neuen Regierungspräsidenten, Dr. Walter Lübcke (CDU), scheint sich der Wind jetzt tatsächlich zu drehen. Als ein Windbauer der ersten Stunde steht er der Ausweisung von Windkraftstandorten deutlich offener gegenüber als sein Vorgänger.

Photovoltaik
In Sachen PV-Nutzung hat sich die Zahl der installierten Anlagen in den letzen drei Jahren verdoppelt. In der RV herrschte Einvernehmen darüber, dass PV primär an und auf Gebäuden bzw. auf bereits versiegelte oder vorbelastete Flächen gehört. Zwar schließt der Regionalplan Freiflächen PV insbesondere für landwirtschaftliche Vorranggebiete aus, doch haben wir im Zentralausschuss bereits einige Abweichungszulassungen beschlossen. Voraussetzung war die gründliche Untersuchung der betroffenen Bereiche. Wir haben insbesondere darauf geachtet, dass es sich um vergleichsweise schlechte Ackerflächen handelt. Das Treffen eben solcher Abwägungen vor Ort ist die Aufgabe von Regionalplanung. Im EEG zu regeln – wie jetzt vom Bundestag beschlossen – dass es keine Einspeisevergütung für PV auf Ackerflächen gibt, ist im eigentlichen Sinne nicht die Aufgabe des EEG. Im Sinne des Subsidaritätsprinzips sind diese Entscheidung vielmehr vor Ort zu treffen. Die ist eine klassische Aufgabe der Regionalplanung. Wir haben im Zentralausschuss Flächen bei Witzenhausen (Solarpark Berlepsch-Ellerode, 30 ha, ca. 13 MW) und Fuldabrück (10 ha, ca. 2 MW entlang der ICE-Trasse) nach intensiver Abwägung für PV freigegeben. Dass sie jetzt dank der EEG Novellierung nicht bebaut werden können, ist ein schwerer Schlag für die Region. Zwar wollen Thüringen und Rheinland-Pfalz jetzt den Vermittlungsausschuss anrufen. Selbst wenn sie eine Mehrheit im Bundesrat bekämen, wird dies aber höchstens eine aufschiebende Wirkung haben. Von der Hessischen Landesregierung, so befürchte ich, können wir keine Unterstützung erwarten.

Es gilt das gesprochene Wort